- Transformationsgesellschaften
- Transformationsgesellschaften,politik-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Begriff, der in analytischer und deskriptiver Weise darauf zielt, Prozesse und Steuerungsprobleme gesellschaftlichen Umbruchs im Zusammenhang und als (planbares) Wechselspiel grundlegender politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Veränderungen zu erfassen. Je nach wissenschaftlichem Zuschnitt stehen dabei Grundlagen und Veränderungsprozesse politischer Institutionen (»politische Transformation«), der politischen Kultur und der diese tragenden Wertsysteme oder aber Veränderungen in der Wirtschaftsordnung (von einer Plan- zur Marktwirtschaft), veränderte Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und grundlegende Veränderungen der Sozialstruktur (z. B. deren Auffächerung; die Entstehung neuer Mittelschichten, aber auch neuer Randgruppen), ebenso aber auch Wandlungen in Lebensstilen, Verhaltensmustern und Werthaltungen (z. B. Individualisierungstendenzen) im Zentrum der Betrachtung. Im Unterschied zu sonstigen Veränderungen (historische Entwicklung, Revolutionen, Katastrophen) hebt der Begriff der Transformation darauf ab, dass es sich um einen mehr oder weniger plan- und steuerbaren Übergang eines Systems aus einem definierbaren Ausgangszustand in einen ebenso bestimmbaren beziehungsweise erwünschten Folgezustand (»Endzustand«, soweit sich dies für gesellschaftliche und historische Zusammenhänge überhaupt annehmen lässt) mit angebbaren Ergebnissen und Randbedingungen handelt.Als Transformationsgesellschaften in diesem Sinne lassen sich Gesellschaften bezeichnen, die unter bestimmten Zielvorgaben einem gesteuerten, grundlegenden Veränderungsprozess unterworfen werden beziehungsweise diesem unterliegen, wobei dieser Prozess unterschiedliche Sektoren, Handlungsbereiche, Tiefenwirkungen, Modalitäten und Zeitverläufe umfasst und Steuerungsimpulse (etwa im Zusammenhang des Aufbaus demokratischer Strukturen, freier Marktwirtschaft oder in der Entwicklung bürgerlicher Freiheiten) darauf zielen, diese entsprechend aufeinander abzustimmen.Historische EntwicklungWissenschaftsgeschichtlich knüpft der Begriff Transformationsgesellschaften zum einen an kybernetische Modelle zu planbaren beziehungsweise geplanten Umgestaltungsprozessen von Systemen im Hinblick auf jeweils erwünschte Zielvorgaben an, zum anderen nimmt er Bezug auf die sozialhistorischen Studien (»The great transformation« (1944) des ungarisch-britischen Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi (* 1886, ✝ 1963), der sich v. a. mit den Folgen und Fehlentwicklungen des »undurchschauten« Übergangs vormoderner »integrierter« Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle zu liberalen Markt- und Gesellschaftsvorstellungen auf der Basis einer kapitalistischen Ökonomie befasste und sich dabei auch mit den in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen verschiedenen und zum Teil gegensätzlichen Veränderungsprozessen sowie entsprechenden Fehlentwicklungen beschäftigt hatte. Im Mittelpunkt des Konzepts finden sich die Fragen nach der Planbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Strukturen sowie nach der Lernfähigkeit von Gesellschaften, Institutionen und Individuen beziehungsweise nach der Lehrbarkeit einmal zustande gekommener und für sinnvoll erachteter Verhaltensmuster und Strukturen und deren Übertragbarkeit auf anders gelagerte Verhältnisse und Entwicklungen. Konzept und Ansatzpunkte der Transformationsforschung nehmen damit Grundannahmen der sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Forschung auf, die in der Geschichte dieser Disziplinen in den Anfängen der Sozialstatistik (L. A. J. Quetelet), der Gesellschaftsreform und der politischen Institutionenlehre im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert formuliert wurden. Diese waren ihrerseits durch normative Impulse der bürgerlichen politischen Philosophie der Aufklärung (etwa die Grundsätze der Gewaltenteilung, des Mächtegleichgewichts, die Bedeutung politischer Öffentlichkeit) und der teils im Anschluss, teils im Gegenzug zu ihr entwickelten Geschichtsphilosophie (Konzepte von Fortschritt, Bildung, Rechtsbeziehungen, Freiheit) beeinflusst. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich mit der Ausbreitung der modernen Industriegesellschaft und der normativen Orientierung an ihr (und an der bürgerlichen Demokratie) in stärkerem Maße auch soziologisches und sozialplanerisches Denken durch. Auf der Basis des als neue Wissenschaft begründeten Positivismus eines A. Comte entwickelte sich auch die Vorstellung von der Planbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen, wie sie in affirmativer wie in kritischer Hinsicht in der modernen Volkswirtschaftslehre ebenso wiederzufinden ist wie im Marxismus und der an ihn anschließenden sozialkritischen und sozialistischen Diskussion.Diese auf Gesellschaftsreform, Planbarkeit (K. Mannheim), Rationalität und voraussagbare Entwicklungen setzende Denkrichtung wurde im 20. Jahrhundert zunächst unter dem Eindruck der Weltkriege und der totalitären Durchdringung zumal der europäischen Gesellschaften zurückgedrängt, konnte aber als u. a. durch das Werk von T. Parsons begründete Modernisierungstheorie in den teils optimistischen, teils sich realistisch verstehenden Versuchen einer Neuordnung der Weltgesellschaften nach 1945 wieder an Einfluss gewinnen. Dies betrifft v. a. den Wiederaufbau und die politische Neugestaltung Westeuropas, namentlich auch der Bundesrepublik Deutschland, nach 1945; dagegen wurden in der Entwicklungspolitik und in globaleren Zusammenhängen bereits damals, erst recht in der Umbruchsphase der 1960er- und 70er-Jahre, auch Grenzen einer solchen planvollen Umgestaltung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Strukturen deutlich. Denn die jeweils erwünschten Ergebnisse hängen zum einen von den Möglichkeiten und Grenzen eines absichtsvollen Handelns (»Intentionalität«) in komplexen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Feldern überhaupt ab und können zum anderen insoweit, als sie auf einen grundlegenden Umbau von Gesellschaft und Staat zielen, auch von jeweiligen eigengesetzlichen Entwicklungen beziehungsweise von Kontingenzen und konträr gerichteten Handlungen sowie widrigen Rahmenbedingungen in diesen Bereichen unterlaufen oder konterkariert werden.Bereits vor den im Laufe der 1990er-Jahre in Osteuropa erfolgten Veränderungen hat die Erforschung von Transformationsgesellschaften in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Modernisierungstheorien und namentlich in der Entwicklungsländerforschung seit den 1960er-Jahren eine Rolle gespielt, nicht zuletzt aber auch im Hinblick auf die in den 1970er- und 80er-Jahren erfolgten Umgestaltungs- beziehungsweise Liberalisierungsprozesse bestimmter diktatorischer Regimes in Europa (Griechenland, Spanien, Portugal) und in Südamerika (Argentinien, Chile, Brasilien). In politikwissenschaftlicher Perspektive lässt sich der Begriff Transformationsgesellschaften in Beziehung setzen zu den von S. P. Huntington beobachteten langfristigen Demokratisierungswellen: Erste Welle 1828-1922/26, zweite 1943-62, dritte 1974 bis Mitte der 1990er-Jahre. Er soll insbesondere die letzte Phase dieser Bewegungslinie zu demokratischen Strukturen beschreiben, da diese - aufgrund institutioneller (z. B. UNO und andere internationale Organisationen), wirtschaftlich-sozialer (fortgeschrittene Industriesysteme) und wissenschaftlicher Voraussetzungen (gesteigertes Reflexionsniveau) - am ehesten dem mit dem Begriff verbundenen Anspruch auf rationale Erkundung von Ausgangs- und Zielbedingungen sowie entsprechende Beratung und Planung von Akteuren zu entsprechen vermag.Neuansatz und Modellbildungen in den 1990er-JahrenIm Zusammenhang der Diskussionen um die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltungsprozesse in Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch des »Ostblocks« 1989-91 ist der Begriff Transformationsgesellschaften in den 1990er-Jahren zur Bezeichnung der Entwicklungstendenzen und -prozesse der ehemals staatssozialistischen Gesellschaften in die politische Sprache und in breitere wissenschaftliche Diskussionen aufgenommen worden, um damit hervorzuheben, dass sich diese nunmehr in einem gewünschten, grundlegenden gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Umbau befinden, an dessen Ende sich - wie von den Bevölkerungen und den sie repräsentierenden Eliten, die diese Umbrüche getragen haben, gewünscht - liberaldemokratische und marktwirtschaftliche Systeme nach dem Modell der »westlichen« Gesellschaften entwickeln sollten.Im Unterschied zum Begriff des sozialen Wandels, der einen längerfristigen, vielgründigen und in seinen Ansatzpunkten, Erscheinungsformen und Auswirkungen insgesamt ungeplanten Veränderungsprozess benennt, und auch anders als der Begriff der Revolution, der einen plötzlichen Umbruch beziehungsweise in politischer Hinsicht die Ersetzung eines dominanten Machtzentrums durch ein anderes mit grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen bezeichnet, hebt der Begriff der Transformationsgesellschaften auf ein mehr oder weniger intendiertes Zusammenspiel ökonomischer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Faktoren, Felder und Ansätze ab. Im Vordergrund stehen dabei die Bedeutung gezielter Anstöße und eine absehbare, durch bestimmte Medien beziehungsweise Organisationen und Institutionen getragene Entwicklung sowie auch die Plan- und Steuerbarkeit der im Hinblick auf bestimmte Ziele erwünschten Veränderungsprozesse (Transformationen). Unabdingbar ist für diese Prozesse der Verzicht auf eine gewaltsame Durchsetzung der Veränderungen. In dieser Perspektive stellen Transformationsgesellschaften also eine spezifische Form »sozialen Wandels« dar: »Transformation ist durch eine Intentionalität von gesellschaftlichen Akteuren, durch einen Prozess mehr oder minder bewusster Änderung wesentlicher Ordnungsstrukturen und -muster und durch einen über verschiedene Medien gesteuerten Umwandlungs(Umwälzungs-)prozess von sozialen Systemen gekennzeichnet« (Rolf Reißig).Idealtypisch lässt sich der Verlauf eines die Transformationsgesellschaftencharakterisierenden Transformationsprozesses in einem fünf Phasen umfassenden Modell (W. Merkel) darstellen: Er beginnt in der ersten Phase mit dem Niedergang des alten Systems, der auch von immanenten Reformversuchen nicht mehr aufgehalten werden kann und dem zweitens der Zusammenbruch der alten Strukturen folgt. Drittens erfolgt eine Phase der ökonomischen und politischen Neuorientierung, die viertens in eine Zeit der Konsolidierung und des Übergreifens der neuen Strukturen auf Recht, Politik, Alltag und Kultur der jeweiligen Gesellschaft übergeht, wodurch dann fünftens die Grundlagen für den Übergang der Transformationsgesellschaften in die »Normalphase« eines neuen Systems geschaffen werden.Sowohl auf der Ebene der Modellbildung als auch in den realen Prozessen der osteuropäischen Transformationsgesellschaften standen dabei zunächst wirtschaftliche Innovationen an erster Stelle: Hierzu gehören auch als Aufgaben an Gesetzgebung und politische (zumal kommunalpolitische und intermediäre) Entscheidungsträger die Etablierung konkurrierender Produktionsunternehmen, die Freigabe von Preisen, um auf Angebots- und Nachfrageseite Innovationsanreize zu schaffen; ferner der Aufbau eines Bankensystems zur Regelung und Ermöglichung von Investitionen sowie deren Rückbindung an eine Zentralbank, die im Besonderen das Problem der Inflation im Auge behalten muss; schließlich die Konsolidierung öffentlicher Haushalte, wobei hier liberalistische und sozialstaatliche Konzepte staatlichen Handelns in Konkurrenz zueinander stehen. In einer zweiten Phase der Transformation und auch ihrer Erforschung, die v. a. im Verlauf 1990er-Jahre stärker hervortrat, standen Veränderungen der politischen Institutionen und Akteure im Vordergrund von Betrachtung und Diskussion; dazu gehören der Aufbau und die Verfestigung eines Mehrparteiensystems, die Ausbildung und die Bedeutung politischer Kulturen und Lager sowie die Integration von Wechselwählern und der Umgang mit Politikverdrossenheit und alten oder neuen autoritären Mustern, nicht zuletzt die Wandlungen der ehemals sozialistischen und kommunistischen Parteien zu mehr oder weniger modernen sozialdemokratischen Parteien und die Spannungen, die damit zwischen alter Klientel und neuen Aufgaben und Wählern (wie am Beispiel etwa der PDS zu beobachten ist) entstehen und zu bearbeiten sind. Schließlich wird die derzeitige Diskussion v. a. seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre von Ansatzpunkten und Interessen geleitet, die»- auch mit Bezug auf die kulturwissenschaftliche Diskussion, die in dieser Zeit einsetzte - v. a. die handelnden Individuen (Biographieforschung), die Bedeutung von Mentalitäten, Fragen der Selbstorganisation von kleineren und mittleren Einheiten (z. B. Wohnviertel, Gemeinden, kleinere und mittlere Betriebe, Vereine und Verbände), das Verhalten und die Bedeutung einzelner Schichten (u. a. Arbeiter, Mittelschicht, alte Kader, Eliten) sowie übergreifende Problemstellungen und Fragen (z. B. Umgang mit Staatsbürgerschaft, Sicherheitsdenken, Erwartungen an staatliches Handeln, Bildungsvorstellungen) in den Blick bringen und von hier aus den Prozess der Transformation erkunden und bewerten. Für die Konjunktur und die Wandlungen des Begriffes Transformationsgesellschaften mag dabei nicht zuletzt auch der Gesichtspunkt eine Rolle spielen, dass dieser gerade angesichts zwiespältiger Erfolgsaussichten und großer Belastungen in den unübersichtlichen Umbruchsprozessen Osteuropas Planbarkeit, Rationalität der Akteure und Chancen politischen und wirtschaftlichen Handelns suggeriert, die durch die volkswirtschaftlichen Daten und die realen Lebensverhältnisse häufig nicht gerechtfertigt erscheinen. Wenigstens erlaubt er auf der begrifflichen Ebene eine Differenzierung der Länder Osteuropas gegenüber den »klassischen« Entwicklungsländern des Südens. Ob sich in der Verlagerung von Interessen und Diskussionen von der Gesamtperspektive der Volkswirtschaft und des politischen Systems auf die Mikrostrukturen des individuellen und gruppenspezifischen Handelns und in der Wendung zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen eher eine Art Erfolg bisheriger Transformation zeigen lässt oder ob diese Verlagerung abermals ein Ende beziehungsweise Scheitern der »großen Theorien« belegt, ist umstritten.Auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und institutionellen Veränderungen infolge der deutschen Einigung seit 1990 in Ostdeutschland werden häufig als Transformationsgeschehen angesprochen. Zugleich aber kann Ostdeutschland auch als Sonderfall einer Transformationsgesellschaft gesehen werden. Denn anders als in den osteuropäischen Transformationsgesellschaften wurden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR kaum neue Institutionen oder andere gesellschaftliche Regelungsprozesse entwickelt beziehungsweise in einem entscheidungsoffenen Verfahren konzipiert, vielmehr wurden grundlegende Strukturen, Einrichtungen, Gesetze und gesellschaftliche Differenzierungs- und Ordnungsmuster aus Westdeutschland übernommen (»Inkorporation«). Im Falle Ostdeutschlands ist deshalb der Transformationsgesellschaften im Besonderen kennzeichnende Aspekt der innovativen Selbststeuerung eines gesellschaftlichen Umbaus zumindest auf der institutionellen Ebene bisher nicht stark ausgeprägt gewesen. Aus der entgegen den ersten Erwartungen in den 1990er-Jahren fortdauernden »Spaltung« (W. Thierse; Sighard Neckel) von Gesellschaft, Wirtschaft und politischer Kultur - die sich an den Wahlerfolgen der PDS in den neuen Bundesländern ebenso festmachen lässt wie an der sich fortsetzenden »Deindustrialisierung« (Paul Windolf) und eine erhebliche Unsicherheit sowohl in den individuellen als auch in den kollektiven Perspektiven der ostdeutschen Bevölkerung widerspiegelt - ergeben sich freilich auch neue Ansatzpunkte für die Erforschung von Transformationsprozessen, namentlich auch von deren Grenzen. Deren Bedeutung spiegelt sich etwa in dem paradoxen Befund, »dass mit der objektiven Annäherung zwischen Ost und West subjektive Entfremdungserscheinungen zunehmen« (Thomas Gensicke).PerspektivenIhrem Programm nach sind Transformationsgesellschaften dadurch bestimmt, dass sie durch »intentionale Prozesse des Umbaus gesellschaftlicher Institutionensysteme und die Entwicklung und Organisation intermediärer Interessen« (C. Lau, J. Weiß) die Leitvorstellungen einer freien beziehungsweise sozialen Marktwirtschaft, bürgerliche Eigentums- und Rechtsordnungen, eine liberale Gesellschaft, eine Mehrparteiendemokratie, Gewaltenteilung, intermediäre Organisationen und eine von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren und Individuen getragenen Öffentlichkeit entwickeln sollen. Neben der vorrangigen Errichtung einer neuen Wirtschaftsordnung stehen gleichermaßen wichtig neue Rechts- und Verfassungsordnungen sowie neue Regeln sozialer Integration auf der Tagesordnung der Transformationsgesellschaften. »Ressourcen müssen erzeugt und verteilt, Rechte definiert und durchgesetzt und Respekt für (nationale, ethnische, zivilgesellschaftliche) Identitäten muss eingelebt und zuverlässig. .. gewährt werden« (C. Offe). Tatsächlich haben diese Impulse und Aufgaben in keiner der existierenden Transformationsgesellschaften bisher zu einer kurzfristig zufriedenstellenden Lösung gefunden; vielmehr haben unterschiedliche historische, soziale, politische und nicht zuletzt kulturelle Konstellationen auch hinsichtlich des Transformationsprozesses zu unterschiedlichen Konsequenzen und Reaktionen geführt, was sich nicht zuletzt an den ausgesprochen heterogenen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der derzeitigen Transformationsgesellschaften sowie an den zeitweiligen politischen Erfolgen postkommunistischer Parteien und Programme - gerade möglicherweise als Gegengewicht zu bereits erfolgreichen Schritten auf den Wegen der Transformation - in den baltischen Staaten, aber auch in Polen, Ungarnund in einzelnen GUS-Staaten ablesen lässt. Sowohl für den Prozess der Transformation als auch im Zusammenhang seiner Erforschung sind wohl langfristigere Zeitvorgaben, ambivalente Entwicklungen und unübersehbare Ereignisse, die sich nachhaltig auf die Veränderungen von Rahmenbedingungen auswirken, von erheblicherer Bedeutung als zunächst angenommen, bis hin zu einer Grenze, an der das Konzept der Transformationsgesellschaften gegenüber sozialem Wandel und anderen, weniger gut zu analysierenden und vermeintlich steuerbaren historischen Prozessen möglicherweise wieder in den Hintergrund tritt. Entsprechend wird der Begriff der Transformation in seiner Bedeutung auch zurückgenommen: Statt wie zunächst angenommen einen Prozess zu beschreiben, der von seinen Zielvorgaben her bestimmt werden kann, geht es nunmehr um »zumindest kurzfristig nicht mehr rückgängig zu machendeVeränderungen« (Christof Ehrhart).Zu bedenken ist schließlich auch, dass sich das westliche Modell bürgerlicher Gesellschaften auf marktwirtschaftlicher Grundlage und im Rahmen einer auf Gewaltenteilung, Menschenrechten, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit aufbauenden politischen Kultur, die neben staatlichen auch individuelle und privat organisierte Akteure kennt und legitimiert, erst in einem jahrhundertelangen, widersprüchlichen und konfliktreichen Entwicklungsgang herausgebildet hat, der Rückschritte (in grausamster Weise) kannte und dessen generelle Wiederholbarkeit grundsätzlich in Zweifel gezogen werden kann. Auch besteht für die Transformationsgesellschaften des Ostens der Anspruch, alle genannten Entwicklungen möglichst gleichzeitig, sozial vertretbar und einem ausgeprägten Erwartungsdruck der Bevölkerung entsprechend schnell und erfolgreich zu vollziehen, wobei die globalen Rahmenbedingungen sich nicht nur gegenüber den entsprechenden Entwicklungsstadien des Westens verändert haben, sondern langfristigen, kurzfristigen und - angesichts der Terrorakte im September 2001 erkennbar - katastrophischen, also nicht vorhersehbaren Änderungen unterliegen. Angesichts der Vielfalt von Aufgaben, der Unterschiede einzelner Entwicklungen, der Bedeutung kontraproduktiver Erscheinungen (etwa der Umfunktionierung von Privatisierung und Märkten zugunsten organisierter Kriminalität in Russland oder aber auch des Wiederauflebens älterer ethnischer Konflikte) sowie nicht zuletzt angesichts globaler Umstrukturierungsprozesse und ihrer Folgen herrschte bereits Ende der 1990er-Jahre eher Skepsis hinsichtlich des Erfolgs einer schnellen und planbaren Entwicklung von Transformationsgesellschaften vor. »Wir wissen, wie wir aus einem Aquarium eine Fischsuppe machen können«, lautet ein in Osteuropa verbreitetes Sprichwort, »den umgekehrten Weg kennen wir allerdings (noch) nicht.« Damit sind freilich auch die Möglichkeiten der Transformationsforschung begrenzt.S. N. Eisenstadt: Revolution u. die Transformation von Gesellschaften. Eine vergleichende Untersuchung verschiedener Kulturen (a. d. 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Universal-Lexikon. 2012.